Sprakforsvaret
   

„Stubbenkammer und Arkona sind auch einem Weltumsegler noch schön“ (Chamisso)

Rezension zu Gunnar Müller-Waldeck: Der Wilde von den Sandwichinseln. Unterhaltsames über Dichter, Denker, Strategen und Haudegen in Mecklenburg und Vorpommern. Mit Illustrationen des Verfassers und Fotos aus dem Archiv des Verfassers und des Verlages. Edition Pommern, Elmenhorst 2014. 234 S., 19,90 €. ISBN 978-3-939680-19-2.

Dieses Buch ist mit Herz geschrieben. Mit historischem und literarhistorischem Sachverstand sowieso, mit der Vorliebe zur humorvollen Anekdote auch. Aber die Einfühlung in die Lebenswelt der „Dichter, Denker, Strategen und Haudegen“, in die Höhen und Tiefen ihrer Schicksale, die macht dem Autor keiner nach. Da ist eine Leuchtkraft um die Auserwählten, die diesen fürwahr unterhaltsamen Band zusammenhält und uns Leser einwebt in Zeiten, die uns mit ein paar Federstrichen nahegebracht werden.

Den Hinweis im Titel auf Mecklenburg und Vorpommern sieht der Autor, u.a. ausgewiesener Fallada-, Brecht- und Koeppen-Spezialist, nicht eng. Seine Protagonisten müssen weder dort geboren noch gestorben sein. Es reicht, wenn sie, wie Brecht, die Ehrendoktorwürde der Uni Greifswald bekommen sollten, wie Hedwig Courths-Mahler häufig prominenter Badegast auf Usedom waren oder, wie Johann Christian Woyzeck, zehn Jahre als Soldat in Stralsund Dienst für die Schweden taten.

Überhaupt die Schweden: Müller-Waldeck nimmt sich des „zipfelmützigen Burschen und kühnen Gänsepiloten“ Nils Holgersson an, weil Selma Lagerlöf ihren Helden am Strand nahe der versunkenen Stadt Vineta absetzt, der Sage nach vor dem Koserower Streckelsberg gelegen. Er schreibt über den Ideenstifter und Architekten des schwedischen Götakanals Baltzar Bogislaus von Platen, geboren 1766 bei Schaprode auf der Insel Rügen. Noch heute grüssen die Ausflugsdampfer auf dem „Blauen Band“ per Schiffssirene das Grab des rastlosen Tüftlers und grossen Bauherrn. Dem Romantiker Per Daniel Amadeus Atterbom, der die Stadt Greifswald und deren Studenten schildert, bescheinigt der Autor mit Recht den wirkungsvollen Einsatz des Komischen von leiser Ironie bis zu herbem Sarkasmus, eine in schwedischen Literaturgeschichten oft vernachlässigte Seite. Auch der Stürmer und Dränger Thomas Thorild war Satiriker und liebte die Verfremdung ins Komische. 1792 mit Frau und Kindern aus Stockholm verbannt, kriecht er zwei Jahre später zu Kreuze und landet in der Provinz. Als Direktor der Greifswalder Uni-Bibliothek muss er sich mit Beckmessern herumschlagen und rechtfertigen, dass in der Bibliothek „gottlose Werke eines Voltaire und Friedrich II.“ stehen. Thorild nennt Greifswald ein „Vandalien“, wo man höchstens „ein angenehm kühler und galanter Satan“ sein könne.

„Das Flugzeug und das U-Boot wurden in Rostock ersonnen.“  Sätze wie diese, hier über den schwedischen Mystiker Emanuel von Swedenborg, sollen Appetit machen auf kulturhistorische Streifzüge durchs Küstenland. Der Autor hat sie in erstaunlich grosser Zahl unternommen und gibt seine Entdeckungen an meist unbekannten Schauplätzen den Lesern weiter, mit ansteckender Neugier und Sammellust. Kein Verständnis hat er für Stadtväter, Bürgermeister und Touristik-Veranstalter, die Augen und Ohren vor der eigenen Geschichte verschliessen. Trifft er aufs Gegenteil, gibt‘s Lob.

Grosse Namen wie Ulrich von Hutten, Friedrich Gottlieb Klopstock, Adelbert von Chamisso („Ein Wilder von den Sandwichinseln“ – so seine Vorstellung bei Quartiergebern), Theodor Fontane, Heinrich Schliemann, Hermann Löns, Ernst Barlach, Martin Andersen-Nexö und Hans Fallada sind im Buch ebenso vertreten wie anrührende Erkundungen über Unbekanntere: Sibylla Schwarz, Dichterin der Barockzeit, Alwine Wuthenow, Lyrikerin des Niederdeutschen mit Fritz Reuter als Förderer, Heinrich Bandlow, der „pommersche Fritz Reuter“, der Schauspieler Eduard von Winterstein oder die „Ostseewellen“-Dichterin Martha Müller-Grählert. Die vielen Namen mögen an ein Lexikon erinnern, ein Eindruck, der trügt. „Wer eine Überblicksdarstellung sucht, ist hier am falschen Ort“, schreibt der Autor: „Die subjektive Auswahl herrscht vor, das Punktuelle, Unvollständige, der Mut zur Lücke, das vagabundierende Flanieren, der Spaziergang als Prinzip: Nie kann, wird und will man dabei durch alle Strassen kommen.“ Beim Gros der Protagonisten unterstreichen kurze Originaltexte behutsam vorgenommene, wohlbegründete Wertungen.   

Das Deutsch dieses Buches ist ein Labsal. Wenn man, wie ich, seit vielen Jahren im Ausland lebt, geniesst man Wendungen wie „nicht wohlgewiegt sein“, „ein Hohelied singen“, „das Dreieinhalbtausendseelenstädtchen“, „Kratzbürstiges“, „Erinnerungssträusse flechten“, „in Augenschein nehmen“.

Lassen Sie sich verführen, die Dichter, Denker, Strategen und Haudegen an ihren Wirkungsstätten in Augenschein zu nehmen! 

Stockholm, im Dezember 2014

Prof. Dr. Frank-Michael Kirsch

Der Rezensent ist Sprecher der schwedischen Sektion des VDS.